Die letzte Kugel by Herbert von Hoerner

Die letzte Kugel by Herbert von Hoerner

Autor:Herbert von Hoerner
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2016-06-24T00:00:00+00:00


* * *

Am zweiten Tage des Jahres kam die Nachricht vom Sekundanten des Rackelhahns: Sein Parte lasse um Entschuldigung bitten, daß er seit seiner Rückkehr schon mehr als eine Woche habe verstreichen lassen, ohne sich zu melden. Er habe das Fest nicht stören wollen. Wann es denn nun genehm sei?

„Immer so bald wie möglich“, wurde ihm geantwortet. Und so konnte denn die Fortsetzung des Duells schon auf den nächsten Morgen vereinbart werden.

Nichts hatte sich geändert, außer daß es jetzt Winter war statt Herbst und daß man darum im Schlitten hinausfuhr statt im Wagen. Im Walde sah man Spuren im Schnee von Reh und Hase. Zwischen zwei Mooshümpeln, aus einem Schneeloch ins andere, war ein Mäuschen getrippelt und hatte eine Spur hinterlassen wie eine feine Naht. Der Himmel war bedeckt, das Wetter windstill und mäßig frostkalt.

„Gutes Schießwetter“, meinte der Linke.

Michel hatte sich vorgenommen, diesmal schneller zu schießen als das erste Mal. Man konnte ja nicht wissen, ob der Gegner ihm wieder so viel Zeit zum Zielen ließe. Und es war seine Absicht, jenem zuvorzukommen. Die Pelze hatte man an Baumäste gehängt. Beide waren im Frack. Michel spürte, ohne zu frieren, die Kälte der Luft bis auf die Haut, als stünde er nackt.

„Rüstet euch!“

Und in die nackte Hand legte der Linke ihm den Pistolengriff.

„Seid ihr fertig?“

„Fertig.“

„Fertig.“

„Eins!“

Michel hatte sofort Kimme, Korn und Ziel in einer Linie. Er hielt auf die Weste des Rackelhahns, dort wo er den gestickten Beutel vermutete. Als er den Finger krumm machte, flog ihm der Arm hoch. Sein Schuß ging in die Wolken. Der Arm sank schlaff herab und die Pistole fiel ihm aus der Hand. So stand er und sah gelassen zu, wie drüben der Rackelhahn, die noch rauchende Pistole in der Hand, in eine Tasche seiner Weste griff, den kleinen gestickten Beutel herauszog, ihm etwas entnahm, das nur eine der Brotkugeln sein konnte, und dieses bestimmte Etwas über die Schulter weg in den Wald warf. Michel atmete wie erleichtert auf.

„Sie sind verwundet“, sagte, auf ihn zutretend, der Arzt. Es war derselbe, den er vom ersten Gang her kannte, der Spitzbart.

„Es scheint so“, sagte Michel und blickte verwundert auf seine Hand, an der es, von der Schulter herab, am Arm entlang, unter dem Ärmel hervor, rot in den Schnee tropfte.



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